jugendsprache - das läßt sich gar nicht allgemein beantworten. es gibt wohl eher verschiedene szene- und modesprachen, die sich durch neue trends, moden, kunst, musik, internet, etc. entwickeln. das betrifft nicht nur neue wortschöpfungen sondern auch die grammatik. in einer zeit, die sich derart rasant medial entwickelt, ist die sprache mitten in diesem fluss eine stetig veränderliche. wir werden uns in der zukunft mit einer größeren sprachlichen variabilität auseinander setzen müssen. ein nachteil wird sein, dass man sich das verständnis in stärkerem maße erarbeiten muss. der vorteil ist die vielfalt von kreativität und progressionspotential.
gegenläufig dazu gibt es auch ein reaktionäres sprachverständnis - gerade in der lyrik treffe ich dieses nicht nur bei den älteren generationen an. wahrscheinlich liegt das daran, dass in der lyrik, anders als z.b. in der musik, sich seit jahrzehnten relativ wenig bewegt. es sieht ganz so aus, dass sich verlage schwer tun mit moderner und innovativer lyrik und alternativen lyrikformen. so kommt es, dass viel zu viele der erwartungshaltung gemäß schreiben und nicht unbedingt zeitgemäß bzw. progressiv. vielleicht liegt diese verkrustung auch an dem relativ konservativen habitus der sprache. ich bin froh, wenn sogenannte jugendsprachen neuen wind in den spracholymp wehen, der dann hoffentlich irgendwann auch das ein oder andere nachhaltige (sprach-)werk hervorbringen wird. außerdem sterben die alten, selbstgefälligen literaturpäpste langsam weg.
ich seh sie schon vor mir, die neuen Nachtcartoons auf Mtv, UNKNOWN HEROS, die endlich die Celebrity-Deathmatch-Kacke ablösen, natürlich in guter, extrabrutalblutiger Animationsfilmqualität.
(Episode 1: Margot “Das Progressionspotential” Bonanza vs. Hannelore “Das Bergtrollweibchen” Flipper)
Von Beginn an war Lyrik mit Gesang verbunden. Und ihre bereits jahrzehntewährende Bedeutungslosigkeit (ein paar Ausnahmen bestätigen jede Regel) hängt ebenso mit Gesang zusammen: Wo früher Lyrik war, ist heute (Pop)Musik. Und es ist nicht abzusehen, dass sich daran etwas ändern könnte.
Die Kategorie „Kreativität“ macht ohne Weiteres Sinn, zumal in einer Zeit, in der alles mit allem fusionieren kann. „Progressiv“ und „reaktionär“ machen dagegen ohne Weiteres keinen Sinn, weil du erstmal definieren müsstest, was unter „progressiv“ zu verstehen sei.
Für mich sind die beiden letztgenannten Adjektive was Sprache und gute Texte angeht ziemlich unwichtig. Bob Dylan, der für seine Lyrics ja sogar nochmal den Nobelpreis kriegen könnte, war in seinen Anfangsjahren sicherlich „progressiv“ und später dann nicht mehr, was solls, er war immer ein guter Lyriker. Oder von mir aus Trent Reznor, den ich als „dekadent“ bezeichnen würde, egal, er ist ein guter Lyriker. Oder Paul Heyse, den man als Epigone wahrscheinlich „reaktionär“ oder „verkrustet“ nennen könnte, drauf geschissen, er war als Dichter großartig und bewundernswert. Oder Stefan George, erzreaktiohnär, war als Lyriker (und Übersetzer Shakespearescher Sonette) ein geradezu unvergleichlicher Meister. Oder Peter Hacks, ein bekennender Stalinist, der trotzdem gute Gedichte geschrieben hat – u.s.w.u.s.f.
Mit freundlichem Gruß von der selbstgefälligen Literaturpäpstin
ich muss nicht jeden klugscheisser kennen, um eine meinung zu einem thema zu haben. wie meine meinung zu bewerten ist, ist mir erstmal egal - ich denke die grundaussage war relativ einfach nachvollziehbar. ich sagte, dass sprache sich mit einer weiterentwicklung schwer tut - insbesondere lyrik, also die die zu lesen ist im internet oder den schmalen dafür vorgesehenen buchregalen in büchereien und buchläden. weiterentwicklung wollte ich als progression im besten sinne verstanden wissen - als eine entwicklung im bemühen um besseres, um menschliches, um erkenntnis. reaktionär dagegen bedeutet das dumpfbackige hängen an alten zöpfen. die alten zöpfen gibt es wohl schon in der literatur - und sehr augenfällig in der lyrik.
ich gönne jedem seine geschmacksrichtungen. es ist völlig sinnlos, da autoren gegeneinander aufzuwiegen. für mich zählt, was verständlich und nicht z.b. intellektuell verkrampft ist.
lyrik sehe ich heute nicht als liedtext sondern als eigenständige literaturgattung, also als sprachkunst neben anderen kunstrichtungen. wahrscheinlich definiere ich lyrik anders als du. für mich ist ein gedicht lyrik. so scheiß einfach sehe ich es. und sicherlich gab es schon immer gedichte, die auf rein sprachlicher ebene ihren ausdruck finden wollten. die lyrics, welche extra zur musik oder mit der musik geschrieben werden, sind ein ganz eigenes kapitel. werfe bitte nicht bonanzas, margots und flippers in einen topf.
nun... ihr müsst euch nicht streiten! hier ist ein friedliches blog es sei denn ihr wollt euch böse bienen nennen...äh...
wahrscheinlich muss man das alles einfach differenzierter betrachten. das was bon hier als alte zöpfe bezeichnet hat, haben wir gestern schon als wurzeln herausgearbeitet, die man nicht kappen sollte. ich glaube sogar in bezug auf meine lyrische entwicklung (klingt bescheuert ..) behaupten zu können, dass ich mich durch alle epochen langsam zum jetztigen stand vorgearbeitet habe. keine ahnung ob ich progressiv bin oder nicht(wenn es stufenweise fortschreitend bedeutet wohl schon.), einige sachen habe ich in den tonskulpturen auch gesungen... das ist auch lange noch keine popmusik.. sprache muss sich verändern, aber nich zu schnell, weil sonst die kommunikation zwischen den generationen unmöglich wird. das generationenproblem besteht aber dennoch (und das ist vielleicht auch gut so) wenn man sein leben der erforschung und/oder bewertung von literatur widmet, dann spezialisiert man sich vllt. auf da was in der eigenen generation gerade von größter bedeutung scheint, wenn sich die bedeutungen dann aber mit den generationen verschieben, dann versucht man vllt seine werte zu bewahren, die man sich schließlich in einem langen studium und lebenslanger arbeit erworben hat. und das ist auch gut. genausogut ist es wenn eben diese werte von der nächsten generation wieder auf den prüfstand gestellt werden. etwas altes bleibt, etwas neues kommt hinzu. so funktioniert die sprache "und eine sprache vorstellen, heißt sich eine lebensform vorstellen."
in bezug auf lyrik habe ich jetzt kürzlich gelesen, dass man den koffer des wortes nicht auspacken soll, also nicht versuchen zu erklären und zu definieren. außerdem ist lyrik heutzutage nicht mehr unbedingt so sehr mit der lyra verbunden, (auch wenn wir schon lange lyrik schriftlich verbreiten können... es dauert manches eben doch länger) weil die art und weise wie lyrik angeordnet ist zunehmend bedeutung gewonnen hat und was noch wichtiger ist, die worte inzwischen so gesetzt werden, dass mehrmaliges lesen erst zu einem sinn führt, während der mündliche vortrag darauf ausgelegt ist, dass er direkt verstanden wird (mag bei musikstücken auch noch anders sein... aber das ist eben eine ganz andere form)also lyrik heute ist von den balladen von früher so weit entfernt, dass man eigentlich einen neuen namen dafür bräuchte..
(manchmal glaub ich... so ein studium blockiert .... je mehr man weiß... die eigenen gedanken...oder sie werden wirr)
streiten? wie sollte ich, iwillbe, mit meinem bescheidenen wissen gegen solch fachversierte menschen anstinken können? ich argumentiere aus meinem hinterwäldlerischen erfahrungsraum heraus. am liebsten habe ich es ausserdem nicht zu kompliziert - bin einfach gestrickt - und so liest sich auch meine lyrik. von geheimnisvoller gehirn- und herzensakrobatik halte ich, wie bereits mehrfach angedeutet, nicht viel. gegen innovative wortgemälde, wie du sie z.b herstellst, habe ich nichts, im gegenteil finde ich die verknüpfung von wort und bild sehr anregend. ich kritisiere doch eher die fuzzis im elfenbeinturm - da gibt`s in den geisteswissenschaften ganz schön viele von. das sind dann die leute (so stelle ich sie mir, vorurteilbehaftet wie ich bin, vor), welche z.b. auf vernissagen klug daherschwätzen ... sich selbst dabei gefallen ... im klartext kapieren sie, glaube ich, nicht mal selbst, was sie zu den kunstwerken ablassen. so mancher künstler müsste sich mehrfach im grabe umdrehen, wenn er denn den ganzen mist hörte. aber okay. ich finde es halt äußerst schwierig mit der fachsimpelei gerade in der kunst - genauso doof wie über den glauben zu fachsimpeln.
sprache und generationenkonflikte haben natürlich einen bezug. die sprache fasse ich als den geistig-emotionalen spiegel der gesellschaft durch die epochen von kultur und werten auf. sprache ist in erster linie ausdruck und information. klar, wenn sprache ihren informationsgehalt verliert - kann man sie dann noch sprache nennen?
wenn man viele komplizierte worte und noch besser namen kennt die sonst keiner kennt, dann hat man es auf jedenfall leicht gebildet und unangreifbar daherzuschwätzen*g* das sind die, die der fan von elke als nasenpoppler beschimpft... ich möchte mich eigentlich nicht zu denen zählen lassen... auch wenn ich durch den geballten wust an wissen den ich bis zur prüfung in mich aufnehmen muss und der dann hier und da durch die assiziationslöcher tropft, vielleicht manchmal so wirke?
da die innere sprache von sich aus eher verschlüsselt und ganzheitlich funktioniert und du ja selbst sagst dass du aus dem bauch heraus schreibst, wo sozusagen die innere sprache herkommt, entstehen ganz von allein auch zeilen zwischen den zeilen, die dann auf den leser individuell wirken... so wie es auf dich vielleicht garnicht wirkt und das ist der punkt wo es für mich lyrik wird. dass etwas mitschwingt, was so allgemein ist, dass es von jedem auf andere weise wahrgenommen und verstanden werden kann.
aber auch diese fachsimpelei kann man ewig fortführen... auch weil es sich eben von zeit zu zeit verändert und jeder irgendwo einen individuellen standpunkt hat und braucht.
es gibt halt diese szenen, die sich elitär abgrenzen - ebenso wie es die szenen von rappern und anderer jugendkultur und -sprache gibt. ich finde solche cliquen-abgenzungen nicht sehr nett. das ist sprach- und kulturseperatismus. ausgrenzung beinhaltet immer viele portionen arroganz, feindlichkeit und befremdung. dabei sind die gruppen meist intraborniert und intolerant.
hendrik (Gast) - 9. Apr, 10:08
Nein, streiten müssen wir uns hier nicht...
(Im Übrigen kratzt es mich wenig, wenn ich als Klugscheißer, elitär oder intellektuell verkrampft empfunden werde, will heißen, damit kann ich leben.)
Was ich meinte, und das schließt nichts von dem, was ihr hier gesagt habt, aus, ist die schlichte Tatsache, dass Lyrik/Dichtung heute ein absolutes Randdasein führt. Hans Magnus Enzensberger - noch so'n Klugscheißer!!! - hat mal ironisch gesagt, es gebe genau 1354 Lyrikleser in Deutschland. Das war ja mal anders. So haben die russischen Symbolisten z.B. mit ihrer Dichtung ganz erheblich zur Revolution beigetragen oder bei Pasternaks Beerdigung sind 20.000 Leute erschienen, die alle seine Gedichte geliebt haben, obwohl er da schon seit vielen Jahren totgeschwiegen worden war...
Ich meine diese gesellschaftliche Relevanz oder anders gesagt diesen kulturellen Einfluss, den hat heute anstelle der Lyrik die (Pop)Musik.
Was nun die Abgrenzung angeht, die von Rappern beispielsweise, scheint mir dein Standpunkt eher etwas verkrampft. Man sollte da vielleicht besser auf das spielerische Moment sehen und nicht alles so ernst nehmen. Häufig finden sich da nämlich "reaktinäre" und "fortschrittliche" Äußerungen ganz unvermittelt nebeneinander...
hendrik, inwieweit lyrik heute ein schattendasein führt, kann ich nicht sagen. ich habe dazu keine erhebungen. meine beobachtung ist, dass vor allem die frauen-lyrik im internet blüht. dass die verlagsszene der lyrik gegenüber nicht sehr aufgeschlossen ist, liegt meiner ansicht nach an den bornierten köpfen dort. ich glaube nämlich schon, dass in einer immer lesefauleren zeit, gerade die lyrik durch ihre kürze und prägnanz glänzen kann. natürlich muss man etwas die webetrommel rühren, muss viel mehr gedichte-lesungen veranstalten, und man muss vorallem das altbackene image der lyrik aufpolieren. wenn menschen an gedichte denken, denken sie an die alten hüte aus ihrer schulzeit, die sie vielleicht auch noch auswendig lernen mussten. es ist fatal, wie viel während der schulzeit an leselust verdorben werden kann. ich fand erst nach dem schulabschluss wieder richtig zugang zur literatur, wie es sein sollte, nämlich mit spaß, lust und neugier.
die popmusik hat nichts, aber auch gar nichts mit lyrik und dichtung (wie ich sie verstehe) zu tun! sie ist auch in keiner weise ein ersatz. popmusik ist marktgesteuerte jugendkultur. popmusik ist das mc donalds in der musikszene - nicht mehr und nicht weniger.
ich stellte nur beispiele von ab- und ausgrenzung durch gruppen zur diskussion - ganz unverkrampft und auch nicht mit dem anspruch eines pauschalen urteils. es ist hier weder zeit noch raum, alles bis zum letzten zu differenzieren - und ich wiederhole mich gern, dass wohl schon klar sein müsste, worauf ich mit meinen aussagen über gruppen und kulturseparatismus hinaus wollte. ich wollte die abspaltung, z.b. auch elitärer intellektueller kreise, krititisch hinterfragen. ich sehe da große kommunikationsdefizite unter den verschiedenen gesellschaftsgruppen.
magnus enzensberger schreibt gar nicht mal schlechte gedichte. jedenfalls fand ich die in dem gedichtbändchen, welches ich von ihm habe, lesenswert. auch seinen kleinen verlag "die andere bibliothek" finde ich mit der besonderen werkeauswahl ganz ordentlich. es gibt schlimmere klugscheisser, denke ich.
auch dich, hendrik, wollte ich nicht einfach in die schublade klugscheisser stecken. ich redete allgemein von dem klugscheissertum. wenn du dir diesen schuh anziehen willst - bitteschön!
vielleicht muss man auch zwischen klugscheißern, kluganscheißern und klugverscheißern unterscheiden... wenn menschen etwas wissen oder auch nur sich ausdenken und andere leute daran teilhaben lassen ist das ja eigentlich sehr freundlich:)
ich weiß garnicht ob es nicht schrecklich wäre, wenn lyrik wirklich populär würde... dann würde sie doch noch mehr gepoppt als eh schon auf poetry-slams wo immer nur die gewinnen die von sex und fäkalien erzählen oder mit verstellter stimme kalauer zum besten geben...
mach`s nicht so kompliziert, iwillbe, ein jeder weiß, was ein klugscheißer ist ... nämlich?
ein klugscheißer ist ein mensch, der klug dumm (bzw. dumm klug) daher redet, der von vielem eine ahnung hat, aber dem der bezug dazu fehlt (vorallem zum zuhörer); - ein mensch, der mit seinem wissen angibt, eben nicht, um in erster linie die kommunikationspartner oder die zuhörer damit zu erquicken, sondern nur um sein eigenes ego zu streicheln.
klar gibt`s da allerhand zwischenstufen: es gibt klugscheisser, die ich zwischendurch ganz witzig finde.
wenn der fachmann einen laien mit komplizierter fachsimpelei überhäuft, so ist dieses verhalten eindeutig klugscheißerisch. ein guter fachmann erklärt dem laien sachverhalte möglichst allgemeinverständlich. im alltag begegnen wir, gott sei`s gedankt, nicht zu vielen klugscheissern - am ehesten in den arztpraxen. es gibt etliche klugscheisserische ärzte.
lyrik leidet selbstverständlich wie alles andere auch unter den zeichen der postpostpostmodernen zeit. darum sollte sie aber ihr licht nicht unter den scheffel stellen, sich nicht verstecken und auch nicht geziert tun.
ich glaube nicht, dass die menschen nur den dreck hören und lesen wollen.
(edit: ich revidiere meine meinung, dass wir im alltag nicht vielen klugscheissern begegnen ... wenn ich jetzt so drüber nachdenke ...)
ich kann dem allen zustimmen... nur eines: ich hatte extra das "pop" vor der musik in klammern gesetzt, weil ich schon der meinung bin, dass jenseits der kommerzschiene jede menge guter lyrics zu guten sounds vorgetragen werden... und ausserdem finde ich es okay so ab und an mal einen burger bei mc donalds zu verschlucken. burger king dagegen ist definit immer und überall zum kübeln!!!
klar gibts gute lyrics von (guten) songs. aber ein song ist erstmal ein anderes konzept als ein gedicht.
tucholsky-, brecht- und heine-lyrik höre ich ganz gern von liedermachern.
auch ich habe mir schon mal einen cheeseburger reingeschoben. man muß doch im kontakt mit der unkultur bleiben, wenn man über sie ablästern will.
gegenläufig dazu gibt es auch ein reaktionäres sprachverständnis - gerade in der lyrik treffe ich dieses nicht nur bei den älteren generationen an. wahrscheinlich liegt das daran, dass in der lyrik, anders als z.b. in der musik, sich seit jahrzehnten relativ wenig bewegt. es sieht ganz so aus, dass sich verlage schwer tun mit moderner und innovativer lyrik und alternativen lyrikformen. so kommt es, dass viel zu viele der erwartungshaltung gemäß schreiben und nicht unbedingt zeitgemäß bzw. progressiv. vielleicht liegt diese verkrustung auch an dem relativ konservativen habitus der sprache. ich bin froh, wenn sogenannte jugendsprachen neuen wind in den spracholymp wehen, der dann hoffentlich irgendwann auch das ein oder andere nachhaltige (sprach-)werk hervorbringen wird. außerdem sterben die alten, selbstgefälligen literaturpäpste langsam weg.
Lieber Lyrikologe,
(Episode 1: Margot “Das Progressionspotential” Bonanza vs. Hannelore “Das Bergtrollweibchen” Flipper)
Von Beginn an war Lyrik mit Gesang verbunden. Und ihre bereits jahrzehntewährende Bedeutungslosigkeit (ein paar Ausnahmen bestätigen jede Regel) hängt ebenso mit Gesang zusammen: Wo früher Lyrik war, ist heute (Pop)Musik. Und es ist nicht abzusehen, dass sich daran etwas ändern könnte.
Die Kategorie „Kreativität“ macht ohne Weiteres Sinn, zumal in einer Zeit, in der alles mit allem fusionieren kann. „Progressiv“ und „reaktionär“ machen dagegen ohne Weiteres keinen Sinn, weil du erstmal definieren müsstest, was unter „progressiv“ zu verstehen sei.
Für mich sind die beiden letztgenannten Adjektive was Sprache und gute Texte angeht ziemlich unwichtig. Bob Dylan, der für seine Lyrics ja sogar nochmal den Nobelpreis kriegen könnte, war in seinen Anfangsjahren sicherlich „progressiv“ und später dann nicht mehr, was solls, er war immer ein guter Lyriker. Oder von mir aus Trent Reznor, den ich als „dekadent“ bezeichnen würde, egal, er ist ein guter Lyriker. Oder Paul Heyse, den man als Epigone wahrscheinlich „reaktionär“ oder „verkrustet“ nennen könnte, drauf geschissen, er war als Dichter großartig und bewundernswert. Oder Stefan George, erzreaktiohnär, war als Lyriker (und Übersetzer Shakespearescher Sonette) ein geradezu unvergleichlicher Meister. Oder Peter Hacks, ein bekennender Stalinist, der trotzdem gute Gedichte geschrieben hat – u.s.w.u.s.f.
Mit freundlichem Gruß von der selbstgefälligen Literaturpäpstin
ich gönne jedem seine geschmacksrichtungen. es ist völlig sinnlos, da autoren gegeneinander aufzuwiegen. für mich zählt, was verständlich und nicht z.b. intellektuell verkrampft ist.
lyrik sehe ich heute nicht als liedtext sondern als eigenständige literaturgattung, also als sprachkunst neben anderen kunstrichtungen. wahrscheinlich definiere ich lyrik anders als du. für mich ist ein gedicht lyrik. so scheiß einfach sehe ich es. und sicherlich gab es schon immer gedichte, die auf rein sprachlicher ebene ihren ausdruck finden wollten. die lyrics, welche extra zur musik oder mit der musik geschrieben werden, sind ein ganz eigenes kapitel. werfe bitte nicht bonanzas, margots und flippers in einen topf.
wahrscheinlich muss man das alles einfach differenzierter betrachten. das was bon hier als alte zöpfe bezeichnet hat, haben wir gestern schon als wurzeln herausgearbeitet, die man nicht kappen sollte. ich glaube sogar in bezug auf meine lyrische entwicklung (klingt bescheuert ..) behaupten zu können, dass ich mich durch alle epochen langsam zum jetztigen stand vorgearbeitet habe. keine ahnung ob ich progressiv bin oder nicht(wenn es stufenweise fortschreitend bedeutet wohl schon.), einige sachen habe ich in den tonskulpturen auch gesungen... das ist auch lange noch keine popmusik.. sprache muss sich verändern, aber nich zu schnell, weil sonst die kommunikation zwischen den generationen unmöglich wird. das generationenproblem besteht aber dennoch (und das ist vielleicht auch gut so) wenn man sein leben der erforschung und/oder bewertung von literatur widmet, dann spezialisiert man sich vllt. auf da was in der eigenen generation gerade von größter bedeutung scheint, wenn sich die bedeutungen dann aber mit den generationen verschieben, dann versucht man vllt seine werte zu bewahren, die man sich schließlich in einem langen studium und lebenslanger arbeit erworben hat. und das ist auch gut. genausogut ist es wenn eben diese werte von der nächsten generation wieder auf den prüfstand gestellt werden. etwas altes bleibt, etwas neues kommt hinzu. so funktioniert die sprache "und eine sprache vorstellen, heißt sich eine lebensform vorstellen."
in bezug auf lyrik habe ich jetzt kürzlich gelesen, dass man den koffer des wortes nicht auspacken soll, also nicht versuchen zu erklären und zu definieren. außerdem ist lyrik heutzutage nicht mehr unbedingt so sehr mit der lyra verbunden, (auch wenn wir schon lange lyrik schriftlich verbreiten können... es dauert manches eben doch länger) weil die art und weise wie lyrik angeordnet ist zunehmend bedeutung gewonnen hat und was noch wichtiger ist, die worte inzwischen so gesetzt werden, dass mehrmaliges lesen erst zu einem sinn führt, während der mündliche vortrag darauf ausgelegt ist, dass er direkt verstanden wird (mag bei musikstücken auch noch anders sein... aber das ist eben eine ganz andere form)also lyrik heute ist von den balladen von früher so weit entfernt, dass man eigentlich einen neuen namen dafür bräuchte..
(manchmal glaub ich... so ein studium blockiert .... je mehr man weiß... die eigenen gedanken...oder sie werden wirr)
sprache und generationenkonflikte haben natürlich einen bezug. die sprache fasse ich als den geistig-emotionalen spiegel der gesellschaft durch die epochen von kultur und werten auf. sprache ist in erster linie ausdruck und information. klar, wenn sprache ihren informationsgehalt verliert - kann man sie dann noch sprache nennen?
da die innere sprache von sich aus eher verschlüsselt und ganzheitlich funktioniert und du ja selbst sagst dass du aus dem bauch heraus schreibst, wo sozusagen die innere sprache herkommt, entstehen ganz von allein auch zeilen zwischen den zeilen, die dann auf den leser individuell wirken... so wie es auf dich vielleicht garnicht wirkt und das ist der punkt wo es für mich lyrik wird. dass etwas mitschwingt, was so allgemein ist, dass es von jedem auf andere weise wahrgenommen und verstanden werden kann.
aber auch diese fachsimpelei kann man ewig fortführen... auch weil es sich eben von zeit zu zeit verändert und jeder irgendwo einen individuellen standpunkt hat und braucht.
(Im Übrigen kratzt es mich wenig, wenn ich als Klugscheißer, elitär oder intellektuell verkrampft empfunden werde, will heißen, damit kann ich leben.)
Was ich meinte, und das schließt nichts von dem, was ihr hier gesagt habt, aus, ist die schlichte Tatsache, dass Lyrik/Dichtung heute ein absolutes Randdasein führt. Hans Magnus Enzensberger - noch so'n Klugscheißer!!! - hat mal ironisch gesagt, es gebe genau 1354 Lyrikleser in Deutschland. Das war ja mal anders. So haben die russischen Symbolisten z.B. mit ihrer Dichtung ganz erheblich zur Revolution beigetragen oder bei Pasternaks Beerdigung sind 20.000 Leute erschienen, die alle seine Gedichte geliebt haben, obwohl er da schon seit vielen Jahren totgeschwiegen worden war...
Ich meine diese gesellschaftliche Relevanz oder anders gesagt diesen kulturellen Einfluss, den hat heute anstelle der Lyrik die (Pop)Musik.
Was nun die Abgrenzung angeht, die von Rappern beispielsweise, scheint mir dein Standpunkt eher etwas verkrampft. Man sollte da vielleicht besser auf das spielerische Moment sehen und nicht alles so ernst nehmen. Häufig finden sich da nämlich "reaktinäre" und "fortschrittliche" Äußerungen ganz unvermittelt nebeneinander...
die popmusik hat nichts, aber auch gar nichts mit lyrik und dichtung (wie ich sie verstehe) zu tun! sie ist auch in keiner weise ein ersatz. popmusik ist marktgesteuerte jugendkultur. popmusik ist das mc donalds in der musikszene - nicht mehr und nicht weniger.
ich stellte nur beispiele von ab- und ausgrenzung durch gruppen zur diskussion - ganz unverkrampft und auch nicht mit dem anspruch eines pauschalen urteils. es ist hier weder zeit noch raum, alles bis zum letzten zu differenzieren - und ich wiederhole mich gern, dass wohl schon klar sein müsste, worauf ich mit meinen aussagen über gruppen und kulturseparatismus hinaus wollte. ich wollte die abspaltung, z.b. auch elitärer intellektueller kreise, krititisch hinterfragen. ich sehe da große kommunikationsdefizite unter den verschiedenen gesellschaftsgruppen.
magnus enzensberger schreibt gar nicht mal schlechte gedichte. jedenfalls fand ich die in dem gedichtbändchen, welches ich von ihm habe, lesenswert. auch seinen kleinen verlag "die andere bibliothek" finde ich mit der besonderen werkeauswahl ganz ordentlich. es gibt schlimmere klugscheisser, denke ich.
auch dich, hendrik, wollte ich nicht einfach in die schublade klugscheisser stecken. ich redete allgemein von dem klugscheissertum. wenn du dir diesen schuh anziehen willst - bitteschön!
ich weiß garnicht ob es nicht schrecklich wäre, wenn lyrik wirklich populär würde... dann würde sie doch noch mehr gepoppt als eh schon auf poetry-slams wo immer nur die gewinnen die von sex und fäkalien erzählen oder mit verstellter stimme kalauer zum besten geben...
ein klugscheißer ist ein mensch, der klug dumm (bzw. dumm klug) daher redet, der von vielem eine ahnung hat, aber dem der bezug dazu fehlt (vorallem zum zuhörer); - ein mensch, der mit seinem wissen angibt, eben nicht, um in erster linie die kommunikationspartner oder die zuhörer damit zu erquicken, sondern nur um sein eigenes ego zu streicheln.
klar gibt`s da allerhand zwischenstufen: es gibt klugscheisser, die ich zwischendurch ganz witzig finde.
wenn der fachmann einen laien mit komplizierter fachsimpelei überhäuft, so ist dieses verhalten eindeutig klugscheißerisch. ein guter fachmann erklärt dem laien sachverhalte möglichst allgemeinverständlich. im alltag begegnen wir, gott sei`s gedankt, nicht zu vielen klugscheissern - am ehesten in den arztpraxen. es gibt etliche klugscheisserische ärzte.
lyrik leidet selbstverständlich wie alles andere auch unter den zeichen der postpostpostmodernen zeit. darum sollte sie aber ihr licht nicht unter den scheffel stellen, sich nicht verstecken und auch nicht geziert tun.
ich glaube nicht, dass die menschen nur den dreck hören und lesen wollen.
(edit: ich revidiere meine meinung, dass wir im alltag nicht vielen klugscheissern begegnen ... wenn ich jetzt so drüber nachdenke ...)
tucholsky-, brecht- und heine-lyrik höre ich ganz gern von liedermachern.
auch ich habe mir schon mal einen cheeseburger reingeschoben. man muß doch im kontakt mit der unkultur bleiben, wenn man über sie ablästern will.
(ach ja, frohe ostern!)