Sun-ray - 7. Mai, 19:08

Hab mir das Original mal angeschaut und finde es sehr faszinierend.

Mich sprang dabei Folgendes an:
'EIN BISSCHEN ZEIT' nimmt trotz des 'bisschen' den augenscheinlich größten Raum ein (analog zum häufig verdrängten Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit ?), während sich 'GANZ VIEL EBBE' ebenso augenscheinlich mit weniger Raum begnügt. Die Gesamtzeile EIN BISSCHEN ZEIT + GANZ VIEL EBBE signalisiert mir auf dem Foto Linearität, die Lebensweg entspricht.
Die Klammern vermitteln mir dagegen Eindruck von geschlossenem Raum-Zeit-Gefüge. Was jenseits dessen ist, wissen wir nicht. Klar ist nur, dass es eines gibt, denn ein Zaun markiert stets sowohl ein Innen wie ein Außen. So, wie der Künstler (TIME + TIDE) setzte, vermittelt mir diese Raum-Zeit-Gefüge-Dastellung außerdem Unumgänglichkeit.

Inhaltlich fand ich das noch ganz interessant:
'Tide' bedeutet nicht nur 'Gezeiten', sondern wird auch im Sinne von 'Strömung' (gegen den Strom schwimmen = against the tide) bzw. 'hinweghelfen', 'über Wasser halten (tide over) verwendet.
Bringt mich darauf, dass ein geschlossener Raum ja auch Sicherheit vermittelt, wo empfundene Linearität durchaus bedrohlich wirken kann - insbesondere, wenn man über das Ziel so gar nichts weiß. Die Gewissheit, dass es auf dem Weg unumgänglich eine Konfrontation mit zugrundeliegendem in sich stimmigen Gefüge-Konzept gibt, erscheint mir dbzgl. recht beruhigend. Verstärkt wird dieser Gedanke m.E. durch die Größe der Installation, die sie aus normaler Augenhöhenperspektive unüberschaubar sein lässt.

Faszinierend finde ich auch die Materialwahl Holz und Teer. Beides sind natürliche Materialien - das eine ein wachsendes, das andere eines, das dank Verarbeitung Trittfestigkeit suggeriert. Nachgiebig sind sie letztlich beide. Wie ich las, hat Herr Weiner den Untergrund im vereinigten Kontrast des Auf und Nieders gestaltet. Auch da findet sich also wieder der Gedanke des Ganzen wieder.

Mehr mag mir dazu just nicht einfallen ..... ;)

PS: Eins noch - ich glaube, die Installation lässt sich in ihrer umfassenden Bedeutung noch besser verstehen, wenn man die zugehörige Signatur des Künstlers hinzunimmt:
"1. Der Künstler kann die Arbeit herstellen
2. Die Arbeit kann angefertigt werden
3. Die Arbeit braucht nicht ausgeführt zu werden.
Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der Absicht des Künstlers. Die Enscheidung über den Zustand liegt bei dem Empfänger im Falle einer Übernahme."

Sun-ray - 7. Mai, 19:15

Und noch was viel mir grade auf. schmunzel
Nämlich das Pluszeichen.
Es hat nicht nur verbindende und addierende Bedeutung.
Seiner Form nach markiert es auch einen gedachten Kreis.
Wiederum ein interessanter Kontrast,
den er damit skizziert:
Christliches Kreuz, welches den ewigen Kreislauf birgt.
Oder auch andersrum: Von außen sieht's christlich aus,
innerlich zusammengehaltebn wird das ganze
aber von essentiellerem Gesetz,
welches die eigentliche Mitte ist.

So, nu ist aber gut - immer diese Begeisterungsfähigkeit ..... ;)
iwillbe - 7. Mai, 19:26

oh diese begeisterungsfähigkeit hat mich ein ganzes stück weiter gebracht! vielen vielen dank für diese ausführliche interpretation!!
iwillbe - 7. Mai, 19:37

achso vielleicht noch: das original besteht (zumindest in hamburg) nicht aus holz (hat mich auch gewundert) sondern aus roten ziegeln.
Sun-ray - 7. Mai, 19:43

freut mich - gern geschehen. :)
nü, entweder haben die bei der fhh
nicht richtig draufgeguckt hinsichtlich materialbestimmung
oder aber das holz wurde mittlerweile ausgetauscht.
hh hat ja nicht eben verrottungsabträgliches klima.

schönen abend dir noch!

und herzlichen dank für die anregung -
je länger ich drüber nachdenke,
desto faszinierender finde ich seine signatur.

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